„Absolut berührend“ Begleitprogramm zur Kunstausstellung „WAR und ist KRIEG“

„Absolut berührend“ – Begleitprogramm zur Kunstausstellung „WAR und ist KRIEG“

Im Rahmen der Kunstausstellung „WAR und ist KRIEG“ fanden zwei Abendveranstaltungen in der Stadtbücherei statt. In der Lesung „In eurem Schatten beginnt mein Tag – Wie die Nazi-Vergangenheit meiner Familie mich bis heute rassistisch prägt“ beschrieb die Journalistin und Autorin Veronica Frenzel ihren mühsamen Prozess der Annäherung an die Geschichte ihres Großvaters mütterlicherseits. Zu Beginn der Recherche stand die erschütternde Erkenntnis, in sich selbst rassistisches Gedankengut zu entdecken, das Frenzel von ihrer Großmutter übernommen hatte, bei der sie als Kind aufwuchs. Auf der Suche nach den Tätigkeiten ihres Großvaters wurde Frenzel in verschiedenen Archiven fündig. In der Hoffnung, weitere Informationen über die Geschichte ihres Großvaters zu erhalten, wandte sie sich an ihre Verwandtschaft. Hier stieß Frenzel auf eine Mauer des Schweigens oder auf Ausflüchte wie „Das war früher so, da muss man mal einen Schlussstrich ziehen“. Aber wie kann man einen Schlussstrich ziehen, wenn nie darüber gesprochen wurde? Frenzels Anliegen ist es einerseits, ihre Großeltern zu verstehen. Andererseits muss sie damit leben, Enkelin eines Waffen-SS-Angehörigen zu sein. Sie lässt sich von der Frage führen „Wie kann ich zu einer menschlicheren Gesellschaft beitragen?“ und kommt zu dem Schluss, dass dies nur durch die ganz persönliche und individuelle Selbstkritik möglich ist. Frenzel sieht ihre Lebensaufgabe darin, sich zu verändern und sich mit sich selbst zu versöhnen. Dadurch erwächst das Potential für Veränderung, für Empathie und Mitgefühl für andere. Im Anschluss an die Lesung stellte das interessierte Publikum Fragen in Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Buches und auf den weiteren Prozess der Autorin, die Frenzel sehr persönlich beantwortete.

Zu dem Filmabend „Zuflucht – Zuversicht – Zukunft: 12 Kriegskinder erzählen“ waren die Filmschaffenden Sabine Langer, Roland Remus und Thomas Knüppel angereist. In ihrem Dokumentationsfilm haben sie sich auf die Spuren der Vergangenheit begeben. Das Dorf Essenrode steht symbolisch für viele Orte, die gegen Ende des 2. Weltkrieges Flüchtlinge aufnehmen mussten; die Einwohnerzahl in Essenrode verdoppelte sich von 500 auf 1.000 Einwohner. Die Filmschaffenden ließen sich u.a. von folgenden Fragen leiten: Wie gingen die Einheimischen damit um? Und welche traumatischen Erlebnisse brachten die Geflüchteten mit? Die zwölf Zeitzeugen, die in dem Film zu Wort kommen, haben als Kinder diese Zeit erlebt. Einige der Personen berichteten zum ersten Mal von dem Erlebten, das mittlerweile 80 Jahre zurückliegt. Die emotionalen Berichte verdeutlichen, dass die Geschehnisse auch nach so langer Zeit ihren Schrecken nicht verloren haben. Im anschließenden Gespräch wies Roland Remus darauf hin, dass der relativ kurze zeitliche Abschnitt von Flucht, Vertreibung und Aufnahme in Essenrode eine sehr starke Traumatisierung bei vielen Beteiligten hervorrief, so dass das Erleben auch nach so langer Zeit sehr lebendig erzählt wurde. Das Sprechen über die Erlebnisse haben viele Zeitzeugen als entlastend erlebt. Leider sind einige der interviewten Zeitzeugen in der Zwischenzeit bereits verstorben. Die Filmschaffenden beantworteten Fragen rund um die Entstehung und Entwicklung des Films; es entstand eine lebhafte Diskussion in Bezug auf Parallelen zur aktuellen gesellschaftspolitischen Situation.

Wer den Filmabend verpasst hat, kann den Film „Essenrode“ kostenlos im Internet unter www.zuflucht-zuversicht-zukunft.de anschauen. Hier finden sich auch weitere Informationen zu den Themen Flucht, Vertreibung und Umsiedlung.

Lesung und Filmabend verdeutlichen die enorme Wichtigkeit des sich Erinnerns und die Notwendigkeit, sich aktiv sowohl mit der persönlichen Geschichte als auch mit der Geschichte Deutschlands auseinanderzusetzen.

Zur letzten Abendveranstaltung in dieser Reihe lädt die Stadtbücherei herzlich ein: Am Mittwoch, 3. Juli liest der Braunschweiger Lyriker, Satiriker und Politpoet Thorsten Stelzner aus eigenen Texten und Gedichten zu den Themen „Krieg und Frieden“ und „Freiheit und Wehrhaftigkeit“. Stelzner rundet die Lesung mit Texten von Tucholsky, Kästner, Hesse, Brecht und anderen Autor:innen ab, um die lyrische Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, gerade auch im Zusammenhang mit „WAR und ist KRIEG“ herzustellen. Die Lesung beginnt um 19:30 Uhr, Einlass ist ab 19:00 Uhr. Der Eintritt ist kostenfrei. Alle Interessierten sind herzlich willkommen!

Die Kunstausstellung „WAR und ist KRIEG“ ist noch bis zum 13. Juli während der Öffnungszeiten der Stadtbücherei (dienstags und donnerstags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs, freitags und samstags von 10 bis 13 Uhr) zu sehen. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage der Stadtbücherei.